Erfolgen Baumaßnahmen an sog. Anlagen (Straßen einschl. Gehwegen, Beleuchtungs- und Entwässerungseinrichtungen usw.), so werden die Grundstückseigentümer der an sie angrenzenden Grundstücke regelmäßig durch Beiträge an den Kosten beteiligt. Je nachdem, ob eine solche Anlage „erstmalig“ erstellt wird oder nicht erfolgt dies durch die Erhebung von Erschließungs- oder Ausbaubeiträgen und nach unterschiedlichen Rechtsgrundlagen, was zu sehr unterschiedlichen Beitragshöhen führt. Für die mithin immer zu beantwortende Frage, wann eine Anlage „erstmalig hergestellt“ ist hat der Bundesgesetzgeber für die jungen Bundesländer Sonderregelungen geschaffen, deren Anwendungen und Folgen nachstehend dargelegt werden.
Historische Wurzeln:
Die erstmalige Kodifizierung, d.h. gesetzliche Regelung, der Heranziehung von Straßenanliegern zu den Kosten des Baus und Unterhalt von Straßen erfolgte im Königreich Preußen im „Preußischen Allgemeinen Landrecht“. Dieses regelte im 15. Titel in § 13 die Verpflichtung zur Beteiligung am Ausbau vorhandener Straßen („Die Einwohner der an der Straße liegenden Gegend sind, nach gemeinen Rechten, zur Arbeit mit Hand- und Spanndiensten bey Unterhaltung und Besserung der Wege, nach der Anordnung des Staats verbunden.“) und in § 16 die Verpflichtung zur Beteiligung an der erstmaligen Herstellung von Straßen („Auch bey Anlegung neuer Wege kann der Staat von den nach der Landesverfassung zur Wegearbeit überhaupt verpflichteten Einwohnern, welche von dem neuen Wege Vortheil haben, Hand- und Spanndienste fordern.“).
Anknüpfungspunkte der Verpflichtung waren - wie heute - die Stellung als Straßenanlieger (Eigentümer eines an die Straße angrenzenden Grundstücks) und die Erlangung eines „Vorteils“ durch die Straße (wegemäßige Erschließung des Grundstücks durch die Straße).
Wirtschaftliche Folgen der Abgrenzung zwischen Erschließungs- und Ausbaubeiträgen:
Die Heranziehung der Anlieger – damals zu Diensten, heute zu Zahlungen – führte und führt gleichzeitig zur Entlastung anderer, nicht an der Straße „anliegender“ Bürger. Klammert man überörtliche Straßen aus, so erfolgt die Finanzierung von Straßenbaus und Straßenunterhaltung immer einerseits aus Mitteln der Anlieger und andererseits aus Mitteln der gesamten örtlichen Gemeinschaft (d.h. aus Mitteln aller Einwohner der Gemeinde).
Bereits diese Überlegung gebietet es, hinsichtlich der Verteilung der Finanzierungsanteile die Vorteile abzuwägen, die einerseits der Allgemeinheit und andererseits den Anliegern aus der jeweiligen Straße erwachsen.
Im Erschließungs- und im Straßenausbaubeitragsrecht unterscheidet man daher den „Gemeindeanteil“ und den „Anliegeranteil“. Letzterer ist vereinfacht ausgedrückt um so höher je mehr die Straße dem Anliegerverkehr und um so niedriger je weniger sie dem Verkehr Dritter (also Anliegern anderer Straßen bzw. dem Durchgangsverkehr) dient.
Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang weiterhin, dass die maßgebliche „Quote“ (Prozent der Kosten, die die Anlieger, und Prozent der Kosten, die die Allgemeinheit zu tragen hat) durch die örtliche in Satzungen festzulegen ist und dass für diese Festlegung unterschiedliche Vorgaben gelten:
Im Erschließungsbeitragsrecht (Bundesrecht) muss der Gemeindeanteil mindestens 10 Prozent betragen (§ 129 Absatz 1 Satz 3 BauGB), kann aber auch höher liegen. Eine einheitliche Festsetzung für das gesamte Gemeindegebiet ist zulässig, ebenso eine Differenzierung nach der Art der Anlage (z.B. höherer Gemeindeanteil bei Industriestraßen, Mindestsatz bei Wohnstraßen). Die Nutzung einer Straße „auch“ zu Durchgangsverkehrszwecken an sich rechtfertigt keinen höheren Gemeindeanteil. Unterbleibt die Festsetzung eines Gemeindeanteils in einer Erschließungsbeitragssatzung gilt der gesetzliche Mindestsatz (10 Prozent).
Im Ausbaubeitragsrecht (Landesrecht) erfolgt die Aufteilung zwischen Gemeinde- und Anliegeranteil ausschließlich nach den jeweils der Allgemeinheit und den Anliegern gebotenen wirtschaftlichen Vorteilen (in Brandenburg z.B. gem. § 8 Abs. 2 Satz 2 und § 8 Abs. 4 Satz 6 Kommunalabgabengesetz Brandenburg). In der Ausbaubeitragssatzung muss der Gemeindeanteil mit einem festen Satz bzw. wenn die Satzung alle Straßen im Gemeindegebiet erfasst mit mehreren festen Sätzen bestimmt werden. Grundsätzlich hat der Ortsgesetzgeber hier Ermessen. Ein Mindestsatz ist z. B. in Brandenburg nicht gesetzlich vorgegeben. Es muss ferner mindestens zwischen reinen Wohnstraßen / Anliegerstraßen (geringster Gemeinde- und höchster Anliegeranteil), Haupterschließungsstraßen (starker innerörtlicher Verkehr) und Hauptverkehrsstraßen (inner- und überörtlicher Durchgangsverkehr, höchster Gemeinde- und niedrigster Anliegeranteil) unterschieden werden. Dabei haben sich folgende Anteile „durchgesetzt“ (Leitlinien): Bei Anliegerstraßen ein Anliegeranteil von i. d. R. 75%, bei Haupterschließungsstraßen von max. 40% und bei Hauptverkehrsstraßen zwischen 20 und 30%.
Mithin liegt der Beteiligungsanteil der Anlieger im Erschließungsbeitragsrecht (i. d. R. 90%) deutlich höher als im Straßenausbaubetragsrecht (20-75% je Straßentyp).
Heutige Rechtsgrundlagen:
Das Erschließungsbeitragsrecht ist im Baugesetzbuch (§§ 127 ff BauGB), das Straßenausbaubeitragsrecht hingegen im Kommunalabgabengesetz des jeweiligen Bundeslandes (Landesrecht, in Brandenburg z.B. in § 8 KAG) geregelt. Hiernach gilt:
Erschließungsbeiträge müssen (!) bei der erstmaligen Herstellung von öffentlichen, zum Anbau bestimmten Straßen, Wege und Plätzen erhoben werden.
Ausbaubeiträge „sollen“ für die „erneute“ Herstellung, Anschaffung, Erweiterung, Erneuerung oder Verbesserung öffentlichen Anlagen erhoben werden.
Der „Grund“ der Beitragspflichtigkeit ist im Erschließungsbeitragsrecht die Erschließung des anliegenden Grundstücks durch die Anlage (die Herstellung der Zuwegigkeit), im Ausbaubeitragsrecht die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Anlage bzw. der durch sie vermittelte wirtschaftliche Vorteil (d. h. die teilweise durchaus rein fiktive Annahme, dass der Wert eines Grundstücks mit Errichtung einer breiteren, schöneren, nunmehr mit einem Gehweg oder einer Beleuchtung versehenen Straße steigt).
Abgrenzung zwischen Erschließungs- und Ausbaubeitragsrecht:
Grundsätzlich gilt, dass die erstmalige Herstellung einer öffentlichen Straße dem Erschließungsbeitragsrecht unterfällt. Alle anderen Maßnahmen unterfallen dem Ausbaubeitragsrecht. In Brandenburg sind diese gesetzlich folgende Fälle:
Herstellung: Herstellung nicht öffentlicher Straßen oder Herstellung durch „Umwandlung“ (z.B. Umwandlung einer Straße mit Gehwegen in eine ebene Fußgängerstraße).
Erneuerung: eine völlig abgenutzte Straße wird wieder in den Zustand versetzt, den sie nach erstmaliger Herstellung hatte (abzugrenzen ist die reine sog. „Unterhaltung“ der Straße, also alle reinen Reparatur- und Instandhaltungsmaßnahmen, deren Kosten die Allgemeinheit und nicht die Anlieger tragen).
Verbesserung: schafft einen gegenüber dem ursprünglichen Zustand verkehrstechnisch besseren Zustand und
Erweiterung: Vergrößerung der räumlichen Ausdehnung der Straße als Unterform der Verbesserung.
Sowohl mit Inkraftsetzen des Erschließungsbeitragsrechts in den alten Bundesländern (zunächst über das Bundesbaugesetz, dann über das Baugesetzbuch) als auch zum Zeitpunkt des Beitritts der neuen Länder stellte sich die Frage, nach welchen Kriterien man bestimmt, ob eine zuvor vorhandene Straße „endgültig hergestellt“ war; jede zeitlich danach vorgenommene Maßnahme muss dem Ausbaubeitragsrecht (und nicht dem Erschließungsbeitragsrecht) unterfallen.
In den alten Bundesländern galt folgendes:
Die Erhebung von Erschließungsbeiträgen für „vorhandene“ Erschließungsanlagen schied aus, unabhängig davon, ob nach altem Recht eine Beitragspflicht begründet worden war oder nicht (§ 242 Abs. 1 BauGB). Wann eine solche „Altanlage“ als „vorhanden“ gilt regelt(e) das Gesetz selbst nicht. Nach früherem preußischem Recht (§ 15 Fluchtliniengesetz) war eine Straße insgesamt fertiggestellt, wenn ihre erste Errichtung den in einer Ortssatzung (Ortsstatut) festgelegten Merkmalen für die Fertigstellung einer Straße, einem Plan für die Art und Weise des technischen Ausbaus („Bauprogramm“) oder hilfsweise den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprach.
Die Rechtsprechung zur „alten“ Übergangsvorschrift kann teilweise durchaus auch zur Auslegung der die neuen Länder betreffenden Übergangsvorschrift herangezogen werden. Aus ihr ergibt sich u.a.:
Eine „vorhandene Straße“ kann nur eine solche Straße sein, die den objektiven Tatbestand des früheren preußischen Anliegerbeitragsrechts erfüllt (innerörtliche Gemeindestraße in geschlossener Ortslage und für innerörtlichen Verkehr bestimmt) und auch den subjektiven Tatbestand (nach dem Willen der Gemeinde im Hinblick auf den erreichten Ausbauzustand auch für den innerörtlichen Verkehr geeignet).
Die Beweislast für ein „Nichtfertiggestelltsein“ kam der betroffenen Kommune zu.
Die vorgefundene Straße musste „funktionstüchtig“ sein, also einmal einen Zustand gehabt haben, der dem Ortsrecht, einem Bauprogramm oder hilfsweise den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprach. Hinsichtlich der Entwässerung musste z.B. eine angemessene Benutzung auch bei länger anhaltendem Regen möglich gewesen sein.
Sind Ortsrecht und Bauprogramm nicht ermittelbar, so kann auch aus dem Zustand vergleichbarer Straßen auf eine schon erfolgte Herstellung geschlossen werden, dies geht aber nicht, wenn jeder „kunstmäßige Ausbau“ (Auskofferung, Pflasterung, Teer- oder Asphaltdecke) oder sogar eine primitive Straßenentwässerung fehlt.
Ein jahrzehntelang unverändert gebliebener Zustand begründete eine widerlegliche Vermutung dafür, dass der Ausbauzustand einer Straße dem früheren Willen der Gemeinde entsprach (widerlegbar z.B. durch ein Ausbauprogramm aus dem sich ergibt, dass der Zustand nicht diesem Programm entsprach sondern als Provisorium zu würdigen war).
Rechtslage in den jungen Bundesländern:
Hier gilt die Übergangsvorschrift des § 242 Abs. 9 BauGB. Hiernach scheidet die Erhebung von Erschließungsbeiträgen für Anlagen oder Teile von Anlagen aus, die vor dem 03.10.1990 bereits hergestellt worden sind. Soweit entspricht die Regelung in etwa der ursprünglich für die alten Länder geltenden Regelung („vorhandene Anlage“).
Sodann wird näher geregelt, wann von einem „Hergestelltsein“ auszugehen ist: „Bereits hergestellte Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen sind die einem technischen Ausbauprogramm oder den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprechend fertiggestellten Erschließungsanlagen oder Teile von Erschließungsanlagen.“.
Dies entspricht wiederum dem oben dargelegten früheren preußischem Recht und der Rechtslage in den alten Bundesländern zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des bundesdeutschen Erschließungsbeitragsrechts.
Ein wesentlicher Unterschied besteht aber hinsichtlich der Teilanlagen (eigentliche Fahrbahn, Gehweg, Straßenregenentwässerung). Anlieger in den neuen Ländern sind insoweit privilegiert (vgl. Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 18.10.2002 zu 9 C 2.02). War nur eine einzelne Teileinrichtung bereits hergestellt, nicht aber die gesamte Anlage (z. B. die Fahrbahn, aber nicht der Gehweg) so kann bei einem Bau der Resteinrichtung nach der Wiedervereinigung nur noch ein Ausbaubeitrag erhoben werden.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 242 Abs. 9 BauGB galt zunächst folgendes:
Zunächst ist zu ermitteln, ob ein Ausbauprogramm der Gemeinde für die Anlage bzw. Teilanlage aufgefunden werden kann.
Erfasst sind alle Pläne, unabhängig vom Urheber (Rat der Gemeinde, örtliche Parteileitung, nicht staatliches Planungsbüro usw.) und unabhängig von der Form, in der sie erstellt wurden (Ratsbeschluss, Vertrag, Aktenvermerk usw.). Gegebenenfalls kann auch aus einem andere Straßen der Gemeinden betreffenden Ausbauprogramm ein die maßgebliche Straße betreffendes Programm „abgeleitet“ werden.
Nur wenn insoweit nichts auffindbar ist kann auf die örtlichen Ausbaugepflogenheiten abgestellt werden. Maßgeblich ist insoweit als räumliche Einheit die politische Gemeinde, nicht aber eine kleinere Einheit (Orts- oder Stadtteil).
Dabei wiederum kann ein Vergleich des vorgefundenen Ausbauzustandes der fraglichen Straße mit dem durchschnittlichen Ausbauzustand innerhalb der Gemeinde erfolgen. Überwiegen z.B. befestigte Straßen, so ist eine solche Befestigung für die Herstellung erforderlich gewesen. Die wohl herrschende Ansicht geht davon aus, dass es bei der Ermittlung des durchschnittlichen Ausbauzustandes angemessen sei, bei einer größeren Kommune nicht auf das Gesamtgebiet, sondern auf den einzelnen Orts- bzw. Stadtteil abzustellen.
Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.07.2007 zu 9 C 5.06 gilt wurden diese Grundsätze präzisiert und ergänzt:
Zu entscheiden war über einen Erschließungsbeitragsbescheid einer Gemeinde in Sachsen-Anhalt. Die betroffene Straße war in den 30er Jahren angelegt worden. In den 80er Jahren erfolgten zwei hinsichtlich des Umfangs und Ablaufs im einzelnen umstrittene Baumaßnahmen an der Fahrbahn, denen Beschlüsse des Rats der Gemeinde zugrundegelegen haben sollen. Nach der Wiedervereinigung wurde die Straße mit einer festen Straßendecke, einem Gehweg und einer Entwässerungskanalisation versehen und u.a. der Kläger zu einem Erschließungsbeitrag herangezogen. Der Kläger obsiegte in erster Instanz (das Verwaltungsgericht bejahte Satzungsmängel) und unterlag in zweiter Instanz. Das Bundesverwaltungsgericht verneinte Verfahrensmängel, bejahte aber eine fehlerhafte Auslegung des § 242 Abs. 9 BauGB durch das Oberverwaltungsgericht, hob dessen Urteil auf und verwies den Rechtsstreit an dieses zurück.
In seiner Entscheidung bestätigte das Gericht weitgehend die bisher herrschende Auslegung des § 242 Abs. 9 BauGB, insbesondere auch unter Übertragung der älteren Rechtsprechung zu der die alten Bundesländer betreffenden Übergangsvorschrift (§ 242 Abs. 1 BauGB), stellte zum Teil aber auch neue Rechtsgrundsätze für die Beantwortung der Frage auf, wann eine Straße in den neuen Ländern als „bereits hergestellte Erschließungsanlage“ zu würdigen ist.
Bestätigt wurde zunächst folgendes:
Der Begriff „technisches Ausbauprogramm“ ist weit zu verstehen. Er muss Vorgaben zur bautechnischen Herstellung enthalten und sich mit dem kunstmäßigem Ausbau der Straße beschäftigen.
Durch bloßes Nichtstun oder „Liegenlassen“ oder Abfinden mit einem Provisorium kann keine Ausbaugepflogenheit entstehen. Es muss immer ein „Grundbestand an kunstmäßigem Ausbau“ erfolgt sein (planvolle künstliche Veränderung der Erdoberfläche und nicht bloßes Ausnutzen vorgefundener Geländegegebenheiten z.B. durch einfache Verfestigung).
Bei der Ermittlung der Ausbaugepflogenheit ist i.d.R. räumlich auf das gesamte Gemeindegebiet, bei größeren Städten ggf. auf Ortsbezirke, abzustellen, sofern diese kleine Einheit eine eigene Zuständigkeit für den Straßenbau hatte.
Die Beweislast dafür, dass eine Straße nicht irgendwann bis zum 03.10.1990 bereits hergestellt gewesen war trägt (wie auch im Fall von § 242 Abs. 1 BauGB – Übergangsvorschrift alte Länder) die Kommune, denn das Merkmal der „erstmaligen“ Herstellung einer Anlage ist anspruchsbegründend.
Weiterhin ergibt sich aus dem Urteil aber auch:
Es kommt nicht darauf an, ob die Straße „am“ 03.10.1990 endgültig hergestellt war, für den Ausschluss einer Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen genügt es, wenn die Straße „irgendwann“ vor diesem Datum einem Ausbauprogramm oder einem örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprechend fertiggestellt worden war. Abgeleitet wird dies aus dem Grundsatz, dass eine einmal hergestellte Erschließungsanlage grundsätzlich nicht wieder in den Zustand der Unfertigkeit zurückgesetzt werden kann.
Ein solches „bereits Hergestelltsein“ kann zu Zeiten der ehemaligen DDR aber auch schon davor (vor Gründung der DDR) erfolgt sein.
Das „technische Ausbauprogramm“ und die „örtlichen Ausbaugepflogenheiten“ i.S.v. § 242 Abs. 9 BauGB stehen gleichwertig nebeneinander bzw. anders formuliert: Ein Ausbauprogramm geht Ausbaugepflogenheiten nicht vor. Auch wenn ein solches Programm aufgefunden wird und die Straße hinter dessen Vorgaben zurückblieb ist noch zu prüfen, ob sich nicht ggf. später die Ausbaugepflogenheiten geändert hatten und die Straße – mit der Folge eines endgültig Hergestelltseins – diesen Gepflogenheiten entsprach („Aufgabe“ des Ausbauprogramms durch „tatsächliche Übung“).
Erforderlich ist der Nachweis eines Ausbauprogramms, welches nicht „von irgendwem“, sondern von der nach den jeweils damals geltenden Rechtsvorschriften zuständigen staatlichen Stelle stammt oder von dieser gebilligt bzw. autorisiert wurde. Es muss in irgendeiner Weise schriftlich dokumentiert sein.
Zu Zeiten der früheren DDR musste also eine (1.) Entscheidung seitens des jeweils zuständigen Rats über den Bau bzw. Ausbau der Straße getroffen worden sein, (2.) eine für die Ausführung zuständige Stelle (i.d.R. Betrieb) beauftragt worden sein, der sich dann seinen „Plan“ (3.) von der zuständigen Stelle (staatliche Bauaufsicht) genehmigen ließ. Schließlich (4.) musste die Baumaßnahme durchgeführt worden sein.
Erforderlich ist weiterhin immer eine Betrachtung im zeitlichen Zusammenhang. Bei der Ermittlung der örtlichen Ausbaugepflogenheiten ist daher auf den Zeitpunkt der fraglichen Herstellung der Straße abzustellen, in die Betrachtung einzubeziehen sind alle zu diesem Zeitpunkt vorhandenen Straßen (später errichtete bleiben außer Betracht). Ebenso ist auf die zu diesem Zeitpunkt geltenden Vorschriften abzustellen.
War die Kommune z.B. zum Zeitpunkt der fraglichen Herstellung der Straße noch selbständig und wurde sie erst später eingemeindet, so kommt es nur auf die damals, die ursprüngliche Gemeinde betreffenden Ausbaugepflogenheiten an, nicht aber z.B. auf den Ausbauzustand von Straßen anderer damals selbständiger Gemeinden, die später Ortsteile wurden.
Auszugehen ist somit von folgenden Grundsätzen:
Soweit eine Straße nicht zweifelsfrei gänzlich neu angelegt wird und eine Wegtrasse schon vorhanden ist muss geklärt werden, ob eine Abrechnung nach Erschließungs- oder nach Ausbaubeitragsrecht zu erfolgen hat. Dies ergibt sich schon aus dem Grundsatz der Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz.
Ergibt sich die Anwendung von Erschließungsbeitragsrecht, müssen Erschließungsbeiträge erhoben werden (arg. „Die Gemeinden erheben...“ in § 127 Abs. 1 BauGB, ständige Rechtsprechung).
Was können und müssen die Gemeinden in den jungen Ländern nunmehr tun und beachten?
Aus der dargelegten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich, dass eine Gemeindeverwaltung umfangreiche Ermittlungen anzustellen hat, die sich wie folgt kurz umreißen lassen:
Zunächst sind alle Zeitpunkte zu ermitteln, zu denen Arbeiten an der Straße stattfanden die sich nicht zweifelsfrei als reine Unterhaltungs- oder Instandsetzungsmaßnahmen qualifizieren lassen.
Jeweils ist der damals erreichte Ausbauzustand festzustellen (z.B. Ausgründung ja oder nein, Art des aufgebrachten Straßenbelags, Art der Befestigung und Abtrennung von etwaigen Gehwegen, Vorhandensein und Art der Straßenregenentwässerung usw.).
Für jeden Zeitpunkt, in dem potentiell eine „Herstellung“ der Straße in Betracht kommt ist sodann gesondert zu untersuchen (1.) ob ein sog. Ausbauprogramm festzustellen ist, also ein Beschluss des zuständigen Organs für die Maßnahme, ein vom zuständigen Organ genehmigtes technisches Konzept usw., wobei es auf die rechtlichen Vorgaben ankommt die zum Zeitpunkt der Maßnahme galten, (2.) ob sich nachweisen lässt, dass ein solches Programm schriftlich fixiert wurde, (3.) ob die Straße entsprechend dem Programm fertiggestellt und dem Verkehr übergeben wurde; entspricht die damalige Herstellung nicht (ganz) dem Ausbauprogramm, so ist (4.) weiter zu prüfen, ob der erreichte Zustand nicht zu einem späteren Zeitpunkt den örtlichen Ausbaugepflogenheiten entsprach, wobei es auf die Verhältnisse in der damaligen politischen Gemeinde, bei größeren Städten auf diejenigen des betroffenen Stadtteils oder –bezirks ankommt. Anzustellen ist ein Vergleich mit dem Zustand anderer Straßen zum gleichen Zeitpunkt. Entsprach die Straße späteren Ausbaugepflogenheiten und lässt sich nicht nachweisen, dass der erreichte Ausbauzustand nur Provisorium sein und das Ausbauprogramm noch vollständig umgesetzt werden sollte, so gilt die Straße als gleichwohl endgültig hergestellt. Lässt sich kein Ausbauprogramm finden, ist auf die örtlichen Ausbaugepflogenheiten abzustellen.
Dabei gilt:
Auch eine Errichtung von Straßen vor Gründung der DDR unterfällt § 242 Abs. 9 BauGB, maßgeblich ist dann das damals anzuwendende (preußische) Recht. Anforderungen an den Zustand von Straßen, die erfüllt sein mussten, um von einer „Fertigstellung“ auszugehen, konnten von den Ortspolizeibehörden, Landkreisen und Provinzialregierungen über Polizeiverordnungen festgelegt werden. Ermächtigungsgrundlagen waren das preußische Polizeiverwaltungsgesetz und § 12 des Preußischen Gesetzes betreffend Anlegung und Veränderung von Straßen und Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften (Preußisches Fluchtliniengesetz 1875). Es spricht viel dafür, diese Verordnungen als Ausbauprogramm i.S.d. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu qualifizieren.
Geht es um Baumaßnahmen während des Bestehens der DDR, so sind zunächst diverse Zuständigkeitsvorschriften, die sich zeitlich abwechselten, zu beachten (z.B. Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht 1957, Gesetz über die örtlichen Volksvertretungen 1873 und 1985) sowie, für die Frage des Entstandenseins einer „öffentlichen“ Straße, das Straßenrecht der ehem. DDR (DDR-Straßenverordnungen 1957 und 1974). Zum Beispiel oblag es ab 1985 den Räten der Kreise, Entscheidungen über die Erweiterung des kommunalen Straßennetzes zu treffen, die Räte der Gemeinden und Städte konnten insoweit nur Vorschläge unterbreiten.
Stellt sich heraus, dass eine schon nach Ausbaubeitragsrecht abgerechnete Maßnahme keine Ausbau- sondern in Wahrheit eine Erschließungsmaßnahme war (weil entgegen irriger Annahme der Gemeindeverwaltung zu Unrecht eine Errichtung der Anlage vor der Wiedervereinigung angenommen wurde), so müssen Erschließungsbeiträge (bzw. muss die Differenz zwischen dem schon vereinnahmten Ausbau- und dem neu berechneten Erschließungsbeitrag) – vorbehaltlich etwaiger Verjährung - nacherhoben werden
Soweit Beitragsbescheide erlassen, aber noch nicht unanfechtbar wurden, z.B. da Anlieger Widerspruch oder Klage erhoben haben, greift grundsätzlich nicht das sog. Verböserungsverbot, d.h. die Bescheide können noch in einem Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelverfahren auf die richtige Rechtsgrundlage gestellt und die Differenz zwischen dem bislang geforderten und ggf. schon bezahltem und dem höheren Beitrag kann nachgefordert werden. Ergibt die Umstellung insgesamt einen höheren Anliegeranteil (wovon, wie eingangs dargelegt, in diesem Fällen immer auszugehen ist), so besteht infolge der Verpflichtung zur Erhebung von Erschließungsbeiträgen sogar eine Verpflichtung zu einer Nacherhebung.
Gleiches gilt aber auch, wenn die ursprünglichen (Ausbau-) Bescheide bereits bestandskräftig und unanfechtbar geworden sind (Erschließungsbeitragsansprüche sind vollständig auszuschöpfen und hiermit korrespondiert eine verfahrensrechtliche Pflicht der Gemeinde zur Nacherhebung, u.a. Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 24.08.1989 zu 8 B 107.89).
Der fehlerhafte Ausbaubeitragsbescheid ist rechtswidrig, aber nicht begünstigend, sondern belastend, und kann daher ohne weiteres nach § 48 Abs. 1 VwVfG zurückgenommen werden. Für den gleichzeitigen Erlass des Erschließungsbeitragsbescheides gelten nicht die Vertrauensschutz berücksichtigenden besonderen Voraussetzungen nach § 48 Abs. 2 VwVfG: Es ist kein begünstigender Verwaltungsakt und es geht auch nicht um eine Rücknahme.
Gleichwohl kann in besonderen Ausnahmefällen Vertrauensschutz zu einem Ausschluss der Nacherhebung führen. Der Beitragspflichtige muss im Vertrauen auf den niedrigeren ersten Bescheid über die bloße Zahlung hinaus „etwas ins Werk gesetzt haben“, die Vertrauensbetätigung muss schutzwürdig sein und das Vertrauen muss den Interessen der Allgemeinheit überwiegen. Dies dürfte in den seltensten Fällen in Betracht kommen.
Fraglich erscheint, ob die Verpflichtung zu einer Nacherhebung immer und in jedem Fall greift. Unbeschadet des zwingend zu erwartenden Protestes der betroffenen Anlieger – der rechtlich keine Auswirkungen zeitigen kann – gelten für die Gemeindeverwaltung auch noch andere Grundsätze, wie z.B. der der Verfahrensökonomie und des sparsamen Haushaltens. Das „Wiederaufrollen“ einer bereits abgerechneten Maßnahme kann es daher meines Erachtens nach jedenfalls in den Fällen, in denen die zu erwartenden Mehreinnahmen in keinem Verhältnis zum Aufwand stehen, gebieten, von einer Nacherhebung Abstand zu nehmen. Dies wird besonders bei kleinen Anlagen mit wenigen Anliegern in Betracht kommen. Zusätzlich wird man bei der Abwägung über die Frage der Nacherhebung auch zu berücksichtigen haben, dass sich die vorher zu stellende Frage der Herstellung der Anlage (vor dem 03.10.1990) vielfach nicht zweifelsfrei und „gerichtsfest“ klären lassen wird, d.h. auch das Prozessrisiko wird in die Abwägung mit einzubeziehen sein.
Vortrag von Rechtsanwalt Lachmann für Einwohner der Stadt Bernau bei Berlin